Helmut Schmidt by Frankfurter Allgemeine Archiv

Helmut Schmidt by Frankfurter Allgemeine Archiv

Autor:Frankfurter Allgemeine Archiv
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlag
veröffentlicht: 2015-11-24T00:00:00+00:00


Die Gefühlsanspannung, die 1982 den Regierungswechsel begleitete, ist nur mehr zu ahnen

Ein Rückblick auf das Ende der sozialliberalen Koalition und den Beginn der Ära Kohl

Von Claus Gennrich

Warm schien die Septembersonne auf das Bonner Rheintal. Nüchtern und knapp erläuterte Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff bei einem kleinen Essen auf der Balkonterrasse eines Ruderclubs nahe beim Bundeshaus sein finanzpolitisches Urteil über den Koalitionspartner. Es fiel vernichtend aus und klang abschließend. Außenminister Genscher hatte letzthin gelegentlich schon die Stirn noch tiefer gefältelt als sonst, die Stimme gesenkt und mit geweiteten Augen zu erkennen gegeben, was seine dunklen Andeutungen einer Entschiedenheit besagen sollten. Dem Kanzler und seiner Partei klangen gewiss die Ohren. Nicht nur der Haushalt war aus dem Ruder gelaufen. Das Verhältnis zu den atlantischen Partnern war in Gefahr, brüchig zu werden. Die Autorität des Regierungschefs war nur noch Fassade.

Der Monat September 1982 hatte mit einem ungewöhnlichen Akt im Kabinett begonnen. Bundeskanzler Schmidt rügte in der Runde den Wirtschaftsminister. Der hatte in Wiesbaden den wirtschaftspolitischen Kurs der SPD als unsinnig bezeichnet und überdies in einem Zeitungsgespräch einen Bonner Wechsel mit oder ohne Neuwahl denkbar genannt. Schmidt forderte Lambsdorff auf, sein Konzept zu Papier zu bringen und dem Kabinett zu unterbreiten. Der FDP-Vorsitzende Genscher kam Lambsdorff zu Hilfe: zu beklagen sei der Widerspruch sozialdemokratischer Abgeordneter gegen die im Juli getroffenen Haushaltsbeschlüsse der Regierung. Damals hatte Genscher bei den Verhandlungen über den Etat für 1983 mit einem Vorgriff auf das Kommende nach einer Sekretärin mit dem 'Schreibzeug' gerufen, das Menetekel einer Rücktrittserklärung an die Wand malend.

Das Vorspiel

Jetzt standen für Oktober Korrekturen am Haushalt bevor. Täglich wurde der Ton zwischen den Partnern schärfer. Nachdem der SPD-Fraktionsvorsitzende Wehner den Gewerkschaften zugesagt hatte, sich für eine Änderung der Haushaltsbeschlüsse in deren Sinn zu verwenden, verlangte Genscher kurz nach jener Kabinettssitzung Klarheit. Die Ahnung eines bevorstehenden Bruchs veranlasste den FDP-Generalsekretär Verheugen, Innenminister Baum und den Abgeordneten Hirsch zu Missfallensäußerungen über Lambsdorff. Allenthalben wuchs die Gereiztheit. Jedermann blickte, Wirkungen auf Bonn erwartend, nach Hessen und Bayern: dort standen für den 26. September und den 11. Oktober Wahlen bevor. Die Bundestagsfraktionen der Koalitionsparteien traten am Dienstag, dem 7. September, zur Vorbereitung der Debatte über die in der gleichen Woche bevorstehende Regierungserklärung Schmidts zur Lage der Nation zusammen. Was sich dann vollzog, glich einem Aufbau der Schlachtordnung. Die SPD zeigte sich bemüht, alles zu unterlassen, was den Eindruck eines 'Selbstrückzugs' erwecken könnte, wie Wehner es nannte. Lambsdorff trug die Grundzüge seines Programms vor, das er Schmidt zu übermitteln gedachte. Zu den Kernpunkten der vom Kanzler erbetenen Ausarbeitung, die der Wirtschaftsminister mit dem Titel 'Wiedergewinnung des Wirtschaftswachstums und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit' versah, gehörten der Ausbau der Selbstbeteiligung in den Sozialversicherungssystemen, Verminderungen des Arbeitslosengeldes, Subventionsabbau und Investitionsförderungen. FDP-Linke befanden, der Plan lasse sich weder mit der SPD noch mit der CDU verwirklichen. Der Fraktionsvorsitzende Mischnick beschwor die Abgeordneten: 'Die Bonner Luft ist voller Gerüchte; lassen wir uns also nicht durcheinanderbringen, nicht auseinanderdividieren und nicht zum Spielball von Spekulationen machen.' Alsbald zitierte Wehner die Mahnung Mischnicks und zog sie in der SPD-Fraktion als Beweis eines Bekenntnisses der FDP zur Koalition heran.



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